Beginnen möchte ich heute mit einem Gedicht von Jean Gebser, der mir als Philosoph und als Mensch in vielen Dingen ein Vorbild war:
Und es will Vieles werden
Wir gehen immer verloren,
wenn uns das Denken befällt,
und werden wiedergeboren,
wenn wir uns ahnend der Welt anvertrauen
und treiben, wie Wolken in hellem Wind.
Und alle Grenzen, die bleiben,
sind ferner als Himmel sind.
Und es will Vieles werden, doch wir ergreifen es kaum.
Wie lange sind wir der Erden Ängstliche noch im Traum?
Fragwürdige noch wie lange,
jetzt, da sich schon alles besinnt,
da das, was einstens so bange,
schon klarer vorüberrinnt?
Dass uns ein Sanftes geschähe,
wenn uns der Himmel berührt,
wenn seine atmende Nähe
uns ganz zum Hiersein verführt.
„Mal angenommen, das wonach du strebst wäre in bester Weise erfüllt.
Was wäre damit und darüber hinaus noch erfüllt?
„Wo ist unsere Quelle?“ Das EINSSEIN, nach dem alle so ruhelos suchen,
existiert tatsächlich.
Es gibt in unserem ganzen Leben nur einen einzigen Menschen, dem wir wirklich begegnen müssen. Wer aber ist dieser Mensch? Es ist unser WAHRES SELBST. Solange wir uns selbst nicht begegnet sind, ist es unmöglich, wahre Zufriedenheit, Glück und Gesundheit zu erfahren. Es wird immer ein Gefühl bleiben, dass etwas fehlt.
Warum sind wir hier auf der Erde? Mit diesem Körper? Unter diesen Lebensbedingungen? Das Ziel des Lebens ist, sich selbst zu begegnen. Das lehrt uns der Buddhismus genauso wie die Kontemplation. Mit jedem Menschen braucht man Geduld, doch an erster Stelle mit sich selbst. Die Beziehung, die du gerade hast, ist die beste, die du bekommen kannst – hoffentlich ist es die Beziehung zu dir selbst?! Es klingt vielleicht etwas komisch, doch der einzig wahre Partner bist wohl Du selbst.
Wo ist unsere Quelle?
Das EINSSEIN, nach dem alle so ruhelos suchen, existiert tatsächlich. Nur
existiert es nicht da draußen, wo wir es oft vermuten. Vielmehr finden wir unser wahres Selbst, dieses Gefühl von Ganzheit, nur bei uns selbst, in unserem eigenen Inneren. Jeder wurde damit geboren, aber kaum jemand kann sich noch daran erinnern. Was die meisten von uns nicht verstehen, ist, dass uns nicht die Verbindung nach außen, sondern die Verbindung nach innen fehlt. Wir haben keinen Zugang mehr zu unserer Quelle, zu unserer natürlichen, kraftvollen und intuitiven Lebendigkeit. Ohne den Kontakt zu unserem eigentlichen Sein sind wir immer auf der Suche nach etwas, fühlen uns gehetzt und oft auch und von unseren
entgegenwirkenden Bedürfnissen zerrissen.
Da gibt es die Sehnsucht nach Freiheit, doch auch der Wunsch nach mehr Nähe. Kaum erleben wir unsere Leidenschaft, folgt auch schon die Angst davor. Großzügigkeit wechselt sich mit Gier ab. Da möchten wir einfach mal weg, fühlen uns aber verpflichtet, uns zu kümmern. Da will alles in uns losbrausen und wild sein, aber unsere Erziehung erlaubt uns das nicht. Da sehnt sich die überfließende Frau in uns nach hemmungsloser, körperlicher Liebe, aber unsere mütterliche Seite trägt für alle und alles Verantwortung. Da träumt der kraftvolle Mann von mehr Freiheit und Abenteuer, aber der kleine Junge in uns ist froh, wenn für ihn gesorgt, gekocht und organisiert wird. In unserer Gesellschaft nennen wir es Ambivalenz.
Während wir versuchen, unser Glück in der Beziehung zu einem anderen
Menschen oder in der Arbeit zu finden, suchen wir eigentlich nach Ausgleich und Harmonie in unserem Inneren. Wir suchen nach der Rückkehr zu unserem eigentlichen Sein, zum wahren Selbst. Wir suchen nach der Ganzheit unseres Samenkorns. Meist wissen wir nicht mal mehr um seine Existenz. Das Leben ist ein Schöpfungsprozess. Wir entdecken uns nicht selbst, sondern erschaffen uns immer wieder neu. Eigentlich müssen wir uns nur erinnern an das, was wir bereits wissen und dann danach handeln. Die Seele weiß alles. Und die Seele strebt nach Erfahrung.
Wir definieren uns oft über das, was wir nicht sind. Doch wir sind reine
schöpferische Geistwesen. Wir waren es immer und werden es immer sein. Wir haben es nur vergessen. Ziel unserer Seele ist es, uns zu erinnern, einzugliedern und zusammenzufügen. Wir könnten uns nicht selbst entdecken, wenn wir nicht auch die Wahl hätten, etwas anders zu sein. Bei allem, was wir tun, sollten wir uns der Konsequenzen bewusst sein. Physisches Leben funktioniert nur in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen. Wenn wir die Naturgesetze beachten, wird sich unser Selbst nie in Schwierigkeiten befinden. Wir würden Freiheit, Freude, Liebe und Frieden erfahren. Das ist das Ziel der Seele. Die Seele muss, um die vollkommene Liebe zu erfahren, jedes menschliche Gefühl durchleben. Wir sollten alles segnen, was wir nicht wählen können, anstatt zu urteilen oder es abzulehnen. Den Teufel können wir nur heilen, indem wir ihn umarmen. Und ähnlich ist es mit dem Tod. Heilung heißt lernen zu akzeptieren und das ist ein Prozess, um dann das Beste zu wählen. „Ich bin“ ist die stärkste schöpferische Aussage im Universum. Und der Weg zu Gott geht nur über das Herz. Die Person, die am meisten liebt, ist die, die selbst-zentriert ist. Wenn wir unser Selbst nicht lieben können, sind wir unfähig, jemand anderen zu lieben. Gesegnet sind die Selbstzentrierten, denn sie wollen Gott erfahren.
Die Worte „Ich bin“ sind außerordentlich machtvoll. Es sind Befehle gegenüber dem Universum. Was immer dem Wort „ich“ folgt, das hat die Tendenz, sich in der physischen Realität zu manifestieren. Wenn wir einen Gedanken oder ein Wort immer wieder wiederholen, dann hat das ein Ausmaß der schöpferischen Macht. Der Gedanke, das Wort wird nach außen hin verwirklicht. Das ist der Grund, warum viele Menschen affirmieren und Mantren tönen. Und alle, die sich selbst für schlecht, nicht gut genug oder dumm halten, denen sagt Gott: „Es ist nicht einer unter euch und wird nie einer unter euch sein, der für immer verloren ist. Denn ihr befindet euch alle, alle, im Prozess des Werdens. Ihr alle, alle, durchlauft die Erfahrung der Evolution“. Es ist gut, sich daran zu erinnern, wer wir wirklich sind. Wir sind die Schöpfung.
Anmerkung: Einige Zitate sind aus dem Buch „Liebe dich selbst“ von Eva-Maria Zuhorst.
Wie können wir diese Quelle mehr und mehr erfahren? Nun, das Gelernte, alles Wissen ist entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Doch das Eigentliche, der Geist ist weder vergangen noch zukünftig, er ist. Er ist im Hier und Jetzt. Und ich nenne es die Gegenwart. Durch Meditation kommen wir an in einem Augenblick höherer Präsenz. Jedes Sprechen, Denken und Handeln geschieht bewusster. Präsent sein bei dem, was wir gerade tun, es mit Achtsamkeit tun, das führt zu wirklichem Reichtum im Leben.
Und es will vieles werden
Wir gehen immer verloren,
Wenn uns das Denken befällt,
und werden wiedergeboren,
wenn wir uns ahnend der Welt
anvertrauen, und treiben
wie die Wolken im hellen Wind,
denn alle Grenzen, die bleiben,
sind ferner als Himmel sind.
Und es will vieles werden,
aber wir greifen es kaum.
Wie lange sind wir auf Erden
Ängstliche noch im Traum,
Fragwürdige noch wie lange,
da alle sich schon besinnt,
da das, was einstens so bange,
schon klarer vorüberrinnt?
Dass uns ein Sanftes geschähe,
wenn uns der Himmel berührt,
wenn seine atmende Nähe
uns ganz zum Hiersein verführt.
(Jean Gebser)